1977

Walpurgisnachtdemo, ©Tscharnke, Wolfgang, FMT, FT.02.168

30. April
In diesem Jahr findet die erste Walpurgisnacht-Demonstration statt. Unter dem Motto „Frauen holen sich die Nacht zurück!“ demonstrieren Frauen gegen die Gewalt an Frauen. Bereits durch den Ihns/Andersen Prozess ist Gewalt an lesbischen Frauen in den Fokus gerückt. Im Jahr 1976 wird Gewalt gegen Frauen zum zentralen Thema in der Frauenbewegung. Und Zugleich Anlass zur Solidarisierung von heterosexuellen Frauen mit Lesben.[1]

27.-30. Mai
Lesbenpfingsttreffen: Die Anfeindungen gegenüber bisexuellen Frauen bleiben weiterhin ein Problem. Die Organisatorinnen des LAZ laden Bisexuelle explizit von der Veranstaltung aus. Die Gruppe „L“74 distanziert sich daraufhin von der Einladung des LAZ, ihrer Ansicht nach hätte die Ausladung mit einem Hinweis darauf umgangen werden können, dass dieses Jahr keine inhaltliche Auseinandersetzung zu Bisexualität stattfände.[2]

UKZ, Nr.5/77, FMT, Z-L301

Lesbische Sexualität wird zum wichtigsten Thema der Veranstaltung. Die Frauen diskutieren über Orgasmuszwang, Selbstbefriedigung und Sex innerhalb lesbischer Beziehungen. Eine längere Diskussion auf dem Abschlussplenum nimmt sich des Themas Mutterschaft an. Die Debatte bewegt sich zwischen zwei Polen: Kindererziehung sei nicht nur Heterofrauen-Sache und Mutterschaft sei als ein „Relikt der alten Frauenrolle zu sehen.“ Die Themen berühren auch die sich entwickelnde Debatte um „Weiblichkeit“ in der Frauenbewegung. Die Arbeitsgruppe „Autonomie – autonome Lesben-Politik“ plädiert für eine neue Definition von Weiblichkeit; das gängige Verständnis von „männlich“ und ‚weiblich“ sei für Lesben unbrauchbar.[3]

8.-12. Juni
Auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin gründet sich die ökumenische Gruppe Homosexuelle und Kirche (HuK).

„Frauenverbände und Feministinnen an einem Tisch“, FMT, Z-Ü104

16.-18. September
In Berlin tagt die 1.Berliner Frauenkonferenz mit traditionellen Frauenverbänden und autonomen Frauengruppen, an deren Gestaltung und Umsetzung Frauen des LAZ und der “L”74 maßgeblich beteiligt sind.

Das Resümee der Organisatorinnen macht die Bedeutung der Veranstaltung deutlich: „Erstmals seit Kriegsende haben so unterschiedliche Frauengruppen wie Parteifrauen, Verbandsfrauen und Feministinnen der autonomen Frauenbewegung sich zu einer gemeinsamen Arbeitstagung zusammen gefunden.”[4] Bei einer Veranstaltung der Arbeitsgruppe „Frau in der Arbeitswelt – Diskriminierung in Berufswahl und Berufsausübung” unterbricht eine Gruppe lesbischer Frauen den Vortrag und präsentiert einen eigenen Beitrag zur spezifischen Diskriminierung lesbischer Frauen.

100 Frauen unterstützen den Forderungskatalog, den eine Rednerin auf dem Podium, verliest: „Wir fordern: Erstens: Vernünftige Aufklärung in den Schulen über Homosexualität als natürliche Alternative zur Heterosexualität! Zweitens: Ein Gesetz zur Abschaffung der Diskriminierung von homosexuellen Männern und Frauen in der Europäischen Gemeinschaft. Drittens: Aufnahme unserer Forderungen in die Schlußresolution dieser Konferenz!”[5]

Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen, 1977, FMT, FE.03.009.02

3.-8. Oktober
Die diesjährige Sommeruniversität für Frauen steht unter dem Motto: „Frauen als bezahlte und unbezahlte Arbeitskräfte.“ Dieses Mal gibt es einen Workshop zum Thema: „Lesbische Frauen und die Frage der unbezahlten Hausarbeit“. Die autonome Lesbengruppe der Berliner Lohn-für-Hausarbeit-Kampagne bereitet den Workshop gezielt vor, damit „Lesben auch auf der Sommeruni aus der Ohnmacht des Nichtvorhandenseins herauskommen können.“[6] Die Organisatorinnen des Workshops haben die Britin Ruth Hall von der Wages Due Lesbian Organisation aus London als Referentin eingeladen. In ihrem Vortrag vertritt Ruth Hall die Forderung nach bezahlter Hausarbeit sowie mehr Kindergeld. Vor allem lesbische Mütter benötigten finanzielle Unterstützung. Die Unabhängigkeit vom Mann und patriarchalen Strukturen sowie die Sichtbarkeit von Lesben sei eine der Hauptaufgaben der Wages Due Lesbian: „Wir wollen das Recht, von Männern unabhängig zu sein.“ Vor allem für lesbische Frauen sei dies relevant: „Wir haben ein Recht auf Unabhängigkeit von Männern, denn wir schlafen ja noch nicht einmal mit ihnen.“[7]

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[1] Vgl.: Dennert, Gabriele; Leidinger, Christiane; Rauchhut, Franziska: Die 70er Jahre – Politischer Aufbruch in der BRD: In: Dies.: In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, S. 31-61, hier S. 44.

[2] Vgl.: Rieger, Eva: Anmerkungen zur Einladung des LAZ. In: Unsere Kleine Zeitung 5/1977, S. 5.

[3] Vgl.: Pfingsten 1977 Berlin. In: Unsere Kleine Zeitung 6/1977, S. 24ff.

[4] 1. Berliner Frauenkonferenz, der traditionellen Frauenverbände und der autonomen Frauengruppen vom 16. bis 18. September 1977. Dokumentation, Hrsg. von den Veranstalterinnen, Berlin 1978, S. 5.

[5] Ebd., S. 127-130.

[6] Lesbische Frauen und unbezahlte Hausarbeit, in: Berliner Sommeruniversität für Frauen / Dokumentationsgruppe [Hrsg.]: Frauen als bezahlte und unbezahlte Arbeitskräfte. Beiträge zur 2. Berliner Sommeruniversität, Berlin 1977, S. 169 (FE.03.009.02).

[7] Ebd., S. 174 (FE.03.009.02).

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