Louise Dittmar: Für die Entfaltung der weiblichen Persönlichkeit

Louise Dittmar, 1849

Der Vermählungsakt ist sonach für das Weib nichts als eine Mundtotmachung während der Zeit des ehelichen Lebens, und leider müssen so manche Frauen im Laufe dieser Zeit bitter empfinden, daß nicht der Schutz, sondern, der Druck der Gesetze ihnen zuteil geworden ist.

Kaum hat eine Frau das schwere Werk, die Geburt eines Kindes, vollendet, so nimmt der Mann gesetzlich alle Rechte an dasselbe in Anspruch. Es trägt den Namen des Vaters, denn die Frauen müssen den Namen des Mannes annehmen, haben nicht das Recht, ihren Familiennamen beizubehalten und die Kinder ihres Geschlechts nach ihrem Namen zu nennen; ja es ist ein Kind, das seiner Mutter Namen trägt, ein entehrtes Kind. Eine Frau, welche durch unwürdige Handlungen eine Ehescheidung herbeigeführt hat, verliert bei ohnehin geschärfter Strafe (Satz 298) noch den Namen des Mannes (Satz 299). Sie muß also den Namen ihres Vaters schänden in diesem Falle. Wie aber, wenn sich an den Namen des Mannes solche Handlungen knüpfen, welche eine Ehescheidung zur Folge haben, wer erlöst dann die Frau von dem Übel eines schlechten und gebrandmarkten Mannes? Zu was eigentlich dies alles? Man lasse den Frauen ihren Familiennamen, verbunden mit dem Recht, die Kinder ihres Geschlechtes nach ihrem Namen zu nennen, und den Männern ihre Titel. Nach dem Grundrecht Artikel 2 Seite 7 sind alle Titel, welche nicht mit dem Amte verbunden sind, abgeschafft. Es haben die Frauen kein. Amt, also gebühren ihnen auch keine Titel.

Könnte nicht jede Familie, sowie sie aus zwei Geschlechtern, oft aus zwei Religionsbekenntnissen besteht, jedes Geschlecht seinen besonderen Familiennamen, die Söhne den des Vaters, die Töchter den der Mutter tragen?

Könnte es nicht jedem Vater besser gefallen, wenn seine Tochter den Namen seiner Frau fortbehält, als daß sie sich nach einem vielleicht sehr mißliebigen Tochtermann nennen muß und er noch obendrein Gefahr läuft, seinen Namen geschändet zu sehen, wenn seine Tochter, nachdem sie dem Elternhause entlassen ist, durch unwürdige Handlungen eine Ehescheidung herbeiführen müßte? Die gesetzlichen Bestimmungen haben freilich gesorgt, daß der Männer Name nicht so bald der Entehrung preisgegeben ist; es ist denselben vieles erlaubt, wofür die Frauen hart gestraft werden. Wißt Ihr denn, Ihr lieben Frauen, daß, indem Ihr Euch Treue von Euren Männern geschworen glaubt am Altäre, das Gesetz hohnlachend hinter Eurem Rücken sie derselben entbindet? denn das Gesetz verbietet ihnen nur, im eigenen Hause oder in der Nähe desselben eine Hure (Konkubine) zu halten (Satz 230). Dazu ist noch die Nachfrage nach dem Vater eines unehelichen Kindes verboten (Satz 340) und somit das Ruhekissen der Sünde recht einladend aufgelockert. Nur schade, daß das Gewissen, dieser Engel des Herrn, allen Menschen gesandt, sich mit strafendem Ernste dazwischenstellt und den Sündern zuruft: »Die Hurer und Ehebrecher wird Gott richten.«

Das Kind folgt der Religion des Vaters, obgleich es die Mutter ist, welche demselben durch Erziehung die ersten Begriffe von Religion beibringen soll, an deren Hand es zuerst zur Kirche geführt wird. – Der Vater übt während der Ehe alle elterliche Gewalt (Satz 373). Durch diesen Satz ist alle mütterliche Gewalt während dieser Zeit aufgehoben, und alle sogenannten Rechte lösen sich in ihr Nichts auf. – Nur mit des Vaters Erlaubnis darf ein Kind das Elternhaus verlassen (Satz 374); nur ein Vater hat das Recht, ein Kind bürgerlich strafen zu lassen (Satz 375) und die Zeit der Einsperrung zu bestimmen (Satz 379). Es ist demnach ein denkbarer Fall, daß ein böswilliger Eheherr mit seinem ungeratenen Kinde gemeinschaftliche Sache machen kann, seine Frau zu quälen. – Zwar erlaubt man einer Witwe, in Form eines Ansuchens, ihr mißratenes Kind einsperren zu lassen, jedoch nur unter Mitwirkung zweier Anverwandten des verstor- benen Mannes (Satz 381). Traut man dem Mutter- herzen mehr Härte als dem Vaterherzen zu? Ist über- haupt die Entfernung aller mütterlichen Gewalt nicht eine schnöde Ungerechtigkeit, eine unwürdige Herabsetzung der Mutter gegenüber ihren Kindern, besonders in Fällen, wo die Frau achtbar, der Mann dagegen ehrlos ist? Warum sind Blutverwandte weiblichen Geschlechts (als Schwestern) im Familienrate, also in Familienangelegenheiten, nicht zulässig und den angeheirateten männlichen Verwandten nachgestellt? (Satz 408 und 442.) – Bei Heiraten der Kinder genügt die Einwilligung des Vaters, wenn die Eltern verschiedener Meinung sind (Satz 148); es ist also völlig gleichgültig, ob die Mutter einwilligt oder nicht. Bei Lebzeiten des Vaters hat die Mutter nie das Recht, Heiratsansprüche gegen eines ihrer Kinder zu tun (Satz 143).

Eine Frau hat nicht Stimmrecht bei Veränderung des Wohnsitzes (Satz 214), selbst nicht bei solchen Verhältnissen, wo die Existenz aus gemeinschaftlichem Grundeigentum gezogen wird. Sie hat nicht das Recht, vor Gericht zu stehen, ohne Ermächtigung des Mannes (Satz 215), Eheklagen ausgenommen; hat nicht das Recht, selbst bei Güterabsonderung, ihr Eigentum zu verändern, noch zu verkaufen, ohne Bewilligung des Mannes (Satz 217); darf ebensowenig eine ihrer Person zufallende, auch nur kleine Erbschaft gültig in Empfang nehmen (Satz 776). Es wirkt selbst die Gewalt des Mannes noch nach dessen Tode fort, indem derselbe (Satz 391) das Recht hat, bei Lebenszeiten seiner Frau seinen unmündigen Kindern einen Vormund beizuordnen und die Handlungen zu bestimmen, welche seine Frau allein vornehmen darf. Nicht so die Frau, wenn sie gleichwohl einsieht, daß sie ihre unmündigen Kinder in den Händen eines leichtsinnigen Vaters zurückläßt. Ja selbst von einem an Leib und Ehre gestraften, von ihr getrennten Ehemann muß sie sich noch bevormunden lassen, einerlei ob sie großjährig und ehrenhaft ist oder nicht (Satz 221). : Eine Frau kann sich zwar von der Behörde ermächtigen lassen, allein es hängt dann von den Launen des Richters ab, ob sie Herr ihres Eigentums sein darf oder nicht.

Ich höre noch die Klagen einer von ihrem Manne getrennten Frau, welche in dem Hungerjahre 1846 bis 1847 ein Stück ihrer Güter veräußern wollte, um ihr und ihrer Kinder Leben zu fristen; allein ihr Mann gab dies aus Böswilligkeit‘ nicht zu, und das Gericht wies sie darum auch mit ihrem Verlangen ab. Sie war nicht reich genug, um sich die Gunst der Richter zu erkaufen. Eine Frau muß sogar dann um die Ermächtigung der Gerichtsbehörde nachsuchen, wenn sie der Gemeinschaftsgüter bedarf, um ihren Mann aus dem Gefängnis zu befreien oder in Abwesenheit des Mannes ihren Kindern eine Versorgung zu: verschaffen (Satz 1427). Hat nun auch eine Handelsfrau das Recht, unter gewissen Umständen ihr Vermögen wegzuziehen (Satz 228), so kann dies nur bei größern Geschäften geschehen, dies meist mit Einverständnis des Mannes, und dann ruht dieses Recht gewöhnlich auf einer Ungerechtigkeit, nämlich auf dem Nachteil der Gläubiger. Dagegen verfügt der Mann allein über das Gemeinschaftsvermögen. Er kann ohne Einwilligung der Frau verkaufen, verändern und verpfänden (Satz 1421). Er hat die Verwaltung alles eignen Vermögens der Frau (Satz 1428). Er kann alle Rechte der Frau auf Besitz oder fahrende Habe allein gerichtlich austragen (Satz 1428). Wohl kann sich die Frau er mächtigen lassen, den Rechtsstreitigkeiten in ihren Angelegenheiten beizutreten, d. h., wenn der Mann so geneigt ist, ihr mitzuteilen, was er in ihren Angelegenheiten unternimmt, und die Behörde sich bewogen fühlt, sie zu ermächtigen. Der Mann allein verfügt über die ehesteuerlichen Güter während der Ehe. Er allein hat das Recht, die Schuldner und Besitzer der- selben zu belangen, die Zinsen und Früchte davon zu erheben und die Kapitalien in Empfang zu nehmen (Satz 1549). Der Mann ist nicht schuldig, für die Ehesteuer Sicherheit zu stellen, wenn er es nicht versprochen hat (Satz 1550). Stimmrecht bei Verwendung des Vermögens des Mannes hat eine Frau nach oben Gesagtem natürlich nicht, wohl aber die Pflicht, nach dessen Tode oder eingetretener Vermögenslosigkeit die Kosten der Kindererziehung und der Haushaltung zu tragen (Satz 1448). Wo bleibt aber ein Recht oder ein Unterpfand für den Satz 1428, nach welchem der Mann haften soll für jeden Abgang der eignen Güter der Frau, wenn er das seine nach Belieben verwenden darf? Soll sich eine Frau dann an das Sprichwort halten: »Wo nichts mehr ist, hat der Kaiser das Recht verloren?« Oder soll eine liebende Mutter vielleicht dafür die tröstende Aussicht hinnehmen, daß sie im Armutsfalle ihre Kinder der Gemeinde aufbürden kann, von welcher sie dann, gewiß sehr menschlich, an den Wenigstnehmenden versteigert werden, wie dies noch häufig geschieht?

Nach oben Gesagtem ist es kein Wunder, wenn Fälle vorkommen, wo verschwenderische Männer, in Gütergemeinschaft lebend, Frau und Kinder an den Bettelstab bringen; wenn Fälle vorkommen, wo der Mann den größten Teil der Einnahme seinen Leidenschaften opfert und die Frau oft nicht weiß, mit was sie den Hunger ihrer Kinder stillen und ihre Blöße bedecken soll, und sich noch obendrein gefallen lassen muß, wenn Gläubiger und Auspfänder sich mit dem bezahlt machen, was sie als Mitgabe aus der Hand ihrer Eltern erhielt. Kein Wunder, wenn Fälle vorkommen, wo der gewissenlose Mann seine Allgewalt benutzt, verkauft und verpfändet und mit dem Erlös sich in einem andern Weltteil ein bequemeres Los verschafft, Frau und Kinder samt den Schulden zurücklassend. – Wie gefällt es Euch, Ihr Väter, die Ihr unter Arbeit und Sorgen ringt und schafft, um Eurer Tochter einige Existenzmittel mitgeben zu können? Wie gefällt Euch, Ihr Mütter, die Ihr nimmer ruht noch rastet, bis die Aussteuer Eurer Tochter gesponnen und anständig zugerichtet ist, wenn Ihr sehn müßt, wie bald hier ein Tochtermann dem Trunke, dort einer dem Spiele, ein anderer sogar seinen Mätressen das opfert, was Ihr durch Sparsamkeit und Entbehrung errungen?

Gegen eine nichtswürdige Frau sind dem Manne, kraft des Gesetzes, die Waffen in die Hand gegeben, sich zu schützen, und es ist seine eigne Schuld, wenn er dieselben nicht benutzt. Ja, selbst das Faustrecht spukt noch häufig bei ungebildeten Leuten, und manche Frau trägt, als Zeichen der Leibeigenschaft und Sklaverei, zur Ehre des Mannes die blauen Flecken am Leibe, welche ihr gestrenger Eheherr für ein oft unbedeutendes Vergehen ihr beigebracht hat.

Ihr Frauen seid verpflichtet, allenthalben mitzuleiden, zu dulden und auszuhalten; es ist eine heilige Pflicht, folget ihr gerne, aber fraget auch nach Euren Rechten, oder wollt Ihr, als des deutschen Michels würdige Schwestern, zusehen, wie sich der Nacken so mancher Frau beugen muß unter den Streichen ihres gewaltigen Eheherrn? Ihr, die Ihr das Glück habt, mit gerechten und liebevollen Gatten verbunden zu sein; die Ihr in Gemeinschaft mit denselben in Treue und Liebe wirkt für das Wohl Eurer Kinder wie der Gesamtheit, Ihr bedürfet der menschlichen mangelhaften Gesetze nicht, aber vergesset nicht, daß viele Eurer unglücklichen Schwestern, gekettet an tyrannische, verschwenderische und oft sittenlose Männer, unter dem Drucke der Gesetze vielfach leiden müssen. Laßt Euch nicht irremachen durch das Gespötte so vieler, welche die Emanzipation der Frauen (Befreiung aus sklavischen Verhältnissen) dadurch ins Lächerliche zu ziehen suchen, daß sie weibliche Subjekte als emanzipiert anführen, welche sich bei Trinkgelagen durch Rauchen und Zotenreißen hervortun. Es hat jeder Stand und jedes Geschlecht seine Auswüchse, aber man darf wahrlich das nicht in eine Linie bringen, was achtbare Frauen als heilige Menschenrechte verlangen können.

Fordert durch Petitionen seinerzeit in würdiger Haltung gleiche Berechtigung mit dem Manne im häuslichen Kreise, daß Euch dieser kleine Kreis nicht verkümmert werde, daß man Euch nicht als Leibeigene behandle, sondern daß die gesetzlichen Bestimmungen Euch als freie Menschen betrachten sollen. […]

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