1988/1989: „Moderner Hexenprozess“

Demonstration in Memmingen gegen die "Hexenprozesse" und den Paragraphen 218, 6.03.1989 © Ursula Dresing (FMT-Signatur: FT.02.0129)
© Ursula Dresing, Demonstration in Memmingen, 6.03.1989 (FMT-Signatur: FT.02.0129)
Demonstration in Memmingen, 1989

Im bayerischen Memmingen beginnt im September 1988 der Prozess gegen den Gynäkologen Horst Theissen vor dem Landgericht. In den Medien wird er als „Hexenprozess“ oder „Kreuzzug“ bezeichnet und  geht als größter Abtreibungsprozess und Einschüchterungsversuch an Ärzten und Frauen in die deutsche Rechts- und Frauengeschichte ein.

Auch heute werden Einschüchterungsversuche gegen GynäkologInnen unternommen: 2017 wurde die Gynäkologin Kristina Hänel angezeigt, der Vorwurf lautete: Werbung für Abtreibungen. Im Juni 2018 kam es zur Debatte im Bundestag. Die so genannten „Lebensschützer“ organisieren Aufmärsche, wie z.B. der „Marsch für Leben“, der am 22. September 2018 in Berlin stattfindet – die Anwort der AktivistInnen: Der Aktionstag für sexuelle Selbstbestimmung. 30 Jahre her zeigt Memmingen exemplarisch, wie Rechtsprozesse gezielt von Abtreibungsgegnern vereinnahmt werden.

Wie es zum Prozess kam

Angeklagter Gynäkologe Horst Theissen (FT.02.1987)

Der niedergelassene Frauenarzt war anonym wegen Steuerhinterziehung angezeigt worden, die Steuerfahndung hatte auch die Patientinnenkartei beschlagnahmt und sie an die Staatsanwaltschaft weiter gegeben.

Diese leitete gegen 279 Frauen ein Verfahren wegen illegalen Schwangerschaftsabbruchs ein und erhob in 156 Fällen Anklage. Der Großteil endete mit einem Strafbefehl, den die meisten Frauen akzeptieren, um einen öffentlichen Gerichtsprozess zu verhindern. Auch der Gynäkologe Theissen wurde angeklagt.

Neuzeitlicher Schauprozess

Demonstration in Memmingen, 1989 (FMT-Signatur FT.02.131)
Demonstration in Memmingen, 1989 (FT.02.131)

Theissen habe angeblich Abtreibungen durchgeführt, ohne dass tatsächlich eine (soziale) Indikation vorgelegen habe, so der Vorwurf. In dem Prozess gegen den Arzt führen die Richter, gegen die die Verteidigung mehrmals Befangenheitsanträge stellt, Theissens Patientinnen bewusst vor. Sie laden 79 Frauen vor, verlesen ihre Namen und befragen sie öffentlich zu intimsten Details.

Horst Theissen wird am 5. Mai 1989 vom Landgericht Memmingen zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt und erhält außerdem ein dreijähriges Berufsverbot. Nachdem er erfolgreich in Berufung gegangen ist, wird das Urteil in anderthalb Jahre auf Bewährung umgewandelt und das Berufsverbot aufgehoben.

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Aus unserer Pressedokumentation (PD-SE.11.43)

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