Shulamith Firestone, 1974
Als sie noch nicht in Deutsch vorlag, kursierte schon die englischsprachige Originalfassung in hiesigen Feministinnenkreisen. Neben dem pointierten Resümee radikalfeministischer Positionen und einem kühnen Exkurs über die Befreiung der Mütter von den Kindern (und der Kinder von den Müttern) waren vor allem Firestones Überlegungen zur Funktion der Liebe neu. Die Autorin analysiert, wie unterschiedlich das ist, was Männer und Frauen „Liebe“ nennen, und daß „Liebe“ eigentlich heute zwischen den Geschlechtern nicht möglich ist, weil sie (noch) zu ungleich sind. Radikale Schlußfolgerung: die feministische Revolution dürfe nicht nur auf die Beseitigung männlicher Privilegien, sondern müsse auf die „der Geschlechtsunterschiede selbst zielen: genitale Unterschiede zwischen den Geschlechtern hätten dann keine gesellschaftliche Bedeutung mehr“.
Ein feministisches Buch, das sich nicht mit der Liebe auseinandersetzt, wäre ein politischer Fehlschlag. Denn die Liebe ist – wahrscheinlich mehr noch als das Kinderkriegen – der Schlüssel zur Unterdrückung der Frauen heute. Ich weiß, daß dies eine erschreckende Frage beinhaltet: Wollen wir die Liebe abschaffen?
Das Gefühl der Panik, das uns ergreift, sobald die Liebe bedroht wird, ist ein klarer Hinweis auf ihre politische Bedeutung. Ein weiterer Hinweis, daß die Liebe der zentrale Punkt jeder Analyse der Frauen oder der Sexualpsychologie ist, besteht darin, daß sie aus dem kulturellen Leben ausgeschlossen ist und in den „persönlichen Bereich“ abgeschoben wird (Wer hat jemals von Logik im Schlafzimmer gehört?).
Für diesen Mangel an Analyse gibt es gute Gründe: Frauen und Liebe sind der Unterbau; werden sie analysiert, dann wird dadurch schon die gesamte Struktur der Kultur bedroht.
Daß Frauen für die Liebe und Männer für die Arbeit leben, ist eine Binsenweisheit. Viel Wahrheit steckt auch in den Klischees, daß „hinter jedem Mann eine Frau steht“, und „Frauen die Herrscher (lies: Energiespender) hinter dem Thron sind“. Die (männliche) Kultur ist auf der Liebe der Frauen aufgebaut worden – und auf ihre Kosten. Die Frauen lieferten den Nährboden für diese männlichen Meisterwerke, jahrtausendelang haben sie die Arbeit gemacht und die Nachteile einer einseitigen emotionalen Beziehung auf sich genommen, deren Vorteile den Männern und der Arbeit von Männern zugute kamen. Ein Mann ist darauf angewiesen, eine Frau zu idealisieren und sie über die anderen zu erheben, um seinen Abstieg zu einer niederen Kaste zu rechtfertigen. Für Frauen besteht keine Veranlassung, einen Mann zu idealisieren (wenn das eigene Leben von der Fähigkeit abhängt, Männer psychisch auszuloten, kann eine derartige Idealisierung sogar gefährlich sein), obwohl die Furcht vor männlicher Macht im allgemeinen auch auf die Beziehung zu einzelnen Männern übertragen werden kann, und es so aussieht, als handele es sich um ein und dasselbe Phänomen.
Dieser Idealisierungsprozeß bewirkt für beide Parteien ein künstliches Gleichgewicht und schafft damit die minimale Voraussetzung für die Entwicklung unkorrumpierter Liebe – wir wissen, daß Liebe gegenseitiger Verletzlichkeit bedarf, die sich in einer ungleichen Machtsituation nicht erreichen läßt. So gesehen, ist „Verlieben“ nichts anderes als der Prozeß der Veränderung der männlichen Sichtweise – durch Idealisierung, Mystifizierung und Verherrlichung -, die die weibliche Klassenminderwertigkeit aufhebt. Aber jede Frau weiß, daß diese Idealisierung, für die sie so schwer schuftet, eine Lüge ist und daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis er sie „durchschaut“. Ihr Leben ist die Hölle, es schwankt zwischen dem alles verdrängenden Bedürfnis nach männlicher Liebe und Anerkennung, die sie aus ihrer untergeordneten Klassenlage erheben soll, und dem ständigen Gefühl der Unechtheit, wenn sie seine Liebe errungen hat. So hängt ihre gesamte Identität von der Ausgewogenheit ihres Liebeslebens ab. Sie darf sich selbst nur dann anerkennen, wenn ein Mann sie der Liebe wert findet. Über Jahrhunderte hin sind Strategien entworfen, geprüft und von Mutter zur Tochter weitergegeben worden, in heimlichen Zwiegesprächen, beim Kaffeeklatsch („Ich kann mir einfach nicht vorstellen, worüber Frauen so lange zu reden haben!“) oder, seit neuestem, am Telefon. Es handelt sich dabei durchaus nicht um triviales Geschwätz (wie Frauen den Männern gern weismachen wollen), sondern um verzweifelte Überlebensstrategien. In einem einstündigen Telefongespräch zwischen zwei Studentinnen sind weitaus mehr richtige Erkenntnisse über Männer enthalten als in der gesamten vierjährigen Studienzeit der Mädchen oder als in den meisten diesbezüglichen politischen Manövern von Männern.
Es ist deshalb auch nicht weiter verwunderlich, daß selbst die wenigen Frauen, die keine „familiären Verpflichtungen“ haben, immer bereits ausgepumpt am Start zu irgendeiner ernsthaften Aufgabe ankommen. Man braucht die meiste Energie und den größten Teil der eigenen kreativen Jahre, um einen „guten Fang“ zu machen, und ein gut Teil der verbleibenden Jahre wird darauf verwendet, diesen Fang „zu halten“. („Die Liebe kann eine Ganztagsbeschäftigung für eine Frau sein, so wie der Beruf es für einen Mann ist.“) Frauen, die sich dazu entschließen, bei diesem Rennen nicht mitzulaufen, wählen ein Leben ohne Liebe, und das ist eine Entscheidung, zu der die meisten Männer keinen Mut aufbringen. Unglücklicherweise wird jedoch diese Männerjagd durch eine emotionale Zwanghaftigkeit gekennzeichnet, die weit über das einfache Bedürfnis nach gegenseitiger Verpflichtung hinausgeht. Sie wird durch eben die Realität eines Klassengegensatzes verstärkt, der in erster Linie die Ursache für die männliche Unfähigkeit zu lieben ist. In einer Männergesellschaft, die die Frauen als eine minderwertige und parasitäre Klasse definiert, ist eine Frau verloren, wenn sie nicht in irgendeiner Form männliche Bestätigung erringen kann. Um ihre Existenz zu rechtfertigen, muß jede Frau mehr als eine Frau sein, sie muß ständig nach einem Ausweg aus ihrer minderwertigen Definition suchen, und allein die Männer sind in der Lage, ihr diesen Gnadenzustand zu gewähren. Aber da es einer Frau selten gestattet wird, sich durch Aktivität in der (männlichen) Gesamtgesellschaft selbst zu verwirklichen – und wenn sie es tut, wird ihr selten die Anerkennung zuteil, die sie verdient -, ist es leichter zu versuchen, von einem Mann anerkannt zu werden als von vielen; und so fällt die Entscheidung der meisten Frauen ja auch aus.
(Auszug in: Schwesternlust & Schwesternfrust – 20 Jahre Frauenbewegung. EMMA Sonderband, Oktober 1991, S. 84.)