30 Jahre Frauenbewegung

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2001 zeigte der FrauenMediaTurm eine Ausstellung über die Anfänge der Neuen Frauenbewegung. Anhand vieler Originaldokumente - Fotos, Flugblätter, Plakate, Zeitungsartikeln, TV-Dokumentationen - die der FMT gesammelt hat, konnten sich die BesucherInnen ein lebendiges Bild davon machen, „wie es anfing“. Von der Stern-Aktion "Ich habe abgetrieben" über das legendäre Streitgespräch zwischen Alice Schwarzer und Esther Vilar bis zu den (bis heute) gängigen Klischees über „Emanzen“.

Zur Ausstellungs-Eröffnung begegneten sich mehrere Frauengenerationen: Charlotte Roche, Ina Deter und Else Buschheuer diskutierten über Feminismus damals und heute (Zusammenfassung im EMMA-Artikel unten). Alice Schwarzer sprach über die Anfänge der Frauenbewegung: „Es stimmt, manchmal zogen wir tatsächlich durch die Straßen und kniffen – leicht verschreckten – Männern in den Hintern. Wir hatten einen Ruf wie Donnerhall. Nur BHs verbrannt haben wir nie..."

Alice Schwarzer: Sind Frauen gemeinsam stark?

Ich weiß es noch, als es wäre es gestern gewesen. Es war ein lauer Frühlingstag im Jahre 1970. Ich ging zwischen zwei Vorlesungen auf den Hof der Pariser Fakultät Vincennes, und da stand neben dem Brunnen Claude, zu der ich träumerisch sagte: „Das wäre doch nicht schlecht, wenn wir auch so was hätten. So eine Women's lib wie die Amerikanerinnen oder Dolle Minnas wie die Holländerinnen. So eine Art Frauenbewegung..." Claude nickte versonnen. Und dann gingen wir zurück in unsere Seminare, Claude in die Vorlesung von Michel Foucault und ich in die Arbeitsgruppe „Psychoanalyse und Marxismus".

Wenige Wochen später, ich war gerade in Deutschland, zog eine Hand voll Frauen über eben dieses Campusgelände von Vincennes und skandierte „Nous sommes toutes des hysteriques" (Wir sind alle Hysterikerinnen - als sarkastische Antwort auf einschlägige Pöbeleien). Und: „Le pouvoir est au bout du phallus" (Die Macht ist im Lauf des Phallus - in ironischer Anspielung auf den damals gern zitierten Mao-Spruch: Die Macht ist im Lauf der Gewehre). Claude mittendrin. Ein paar Kilometer weiter, am Arc de Triomphe, legte fast gleichzeitig ein wieder anderes Häuflein Frauen einen Kranz auf das Grab des unbekannten Soldaten, „Für die Frau des unbekannten Soldaten" (und wurde prompt verhaftet).

Noch kannten sich die unterschiedlichen Akteurinnen nicht, aber schon im Herbst sollten sie sich jeden Mittwochabend zu Hunderten in der Mensa der Beaux Arts am Seine-Ufer treffen und übermütig aufeinander einschreien. Wir waren 16 oder 60 Jahre alt, bekannte Schriftstellerinnen und Schauspielerinnen oder unbekannte Studentinnen und Sekretärinnen; wir lebten (überwiegend) mit Männern oder (in der Minderheit) mit Frauen oder auch allein; wir waren in Paris, Algier, Moskau, Rio oder Wuppertal geboren; und wir waren wie im Rausch. Ab wann wir begriffen haben, dass wir die Frauenbewegung waren? Ich weiß es nicht. Aber wir hatten sehr bald einen Namen, der schnell berühmt, ja berüchtigt wurde: le MLF (Mouvement pour la liberation des femmes). Und wir hatten rasch eine Adresse, unser erstes Zentrum im Herzen von Saint Germain. Da sammelten sich die Truppen und Nachrichten und liefen die Interviewanfragen auf.

Ich konnte meist nur abends dabei sein, denn tagsüber arbeitete ich als politische Korrespondentin, und ganz nebenher studierte ich noch an der „roten Fakultät" Vincennes. Aber in der Erinnerung an diese Jahre sehe ich mich vor allem im Kreis der Freundinnen, mit denen agitiert, gestritten und gefeiert wurde. Es stimmt, manchmal zogen wir tatsächlich durch die Straßen und kniffen - leicht verschreckten - Männern in den Hintern. Wir hatten einen Ruf wie Donnerhall. Und einmal der Woche traf eine jede sich in ihrer Groupe de Conscience, der Bewusstwerdungsgruppe, und redete Tacheles über ihr eigenes Leben. Wir entdeckten: Wir waren nicht allein, Den anderen Frauen ging es ähnlich.

Was wir gelesen hatten? „Das andere Geschlecht" von Simone de Beauvoir, klar, das war schon vor der Stunde Null eine An Geheimcode unter uns Frauen gewesen. Es war darum für uns selbstverständlich, das wir zu ihr in die Rue Schoelcher Nr. 11 gingen und sie fragten, ob sie mitmachen will. Sie sagte sofort Ja.

Im Frühling 1971 zettelten wir dann die provokante öffentliche Abtreibung Selbstbezichtigung der 343 Französinnen an, veröffentlicht am 5. April 1971 im Nouvel Observateur . Wenig später exportierte ich die Idee jenseits des Rheins. Damals lag Deutschland noch im Dornröschenschlaf in Sachen Emanzipation. Die Nazis hatten eben auch in Sachen Frauenemanzipation Tabula rasa gemacht, und die Töchter der BDM-Mädchen und Trümmerfrauen taten sich schwerer als ihre aufmüpfigen Nachbarinnen. Sicher, da gab es ein paar Gruppen, die hinter verschlossenen Türen Karl-Marx-Schulungen machten: Die hießen „Weiberräte" oder „Rote Frauen", hatten 1968 mal eine Tomate an den Kopf eines 68er-Gurus geworfen, waren vom Studentenprotest der Apo übrig geblieben und eiferten noch immer ihren belehrenden Genossen nach. Oder die stramm agitierenden kommunistischen Frauen-Gruppen, die gern als „Demokratinnen" oder „Friedensfrauen" firmierten. Daneben irrlichterten ein paar versprengte Individuen, politisch organisiert oder nicht, die ein Unbehagen hatten und auf etwas ihnen noch Unbekanntes warteten. Aber eine Frauenbewegung - die war nicht in Sicht.

Ich klapperte im Frühling 1971 viele, viele Städte ab und putzte viele Klinken, um die Unterschriften der Frauen für die Selbst-Bezichtigungs-Aktion zu kriegen. Und viele einzelne, tapfere Frauen sammelten mit. Als dann am 6. Juni 1971 im „Stern" das Selbstbekenntnis der 374 deutschen Frauen - „Ich habe abgetrieben und fordere das Recht dazu für jede Frau!" - mit meinem Bericht dazu erschien, da platzte die Bombe. Die Frauen in Westdeutschland erwachten aus ihrem Dornröschenschlaf. Sie unterzeichneten zu Tausenden die Selbstbezichtigung, sie fingen an zu reden, sich zusammenzutun, zu protestieren. Die Aktion 218" überrollte wie eine Lawine das ganze Land und wurde zum Auslöser der neuen deutschen Frauenbewegung.

Und ich? Ich fuhr zunächst einmal wieder in meine Wahlheimat Paris und in meinen MLF. Erst zweieinhalb Jahre später zog ich zurück nach Deutschland. Genau neun Monate nach der Selbstbezichtigung im „Stern", am 12. März 1972, hoben in Frankfurt am Main ein paar hundert Frauen die zweite deutsche Frauenbewegung aus der Taufe. Der „1. Bundesfrauenkongress" erklärte in aller Form und deutscher Ordnung die Gründung einer autonomen, von Parteien und Organisationen unabhängigen Frauenbewegung: „Frauen müssen sich selbst organisieren, weil sie ihre ureigensten Probleme erkennen und lernen müssen, ihre Interessen zu vertreten", tönte es durch das Mikrofon der Jugendherberge. „Wir schließen Männer aus unseren Gruppen aus. Frauen müssen zu einem Machtfaktor innerhalb der anstehenden Auseinandersetzungen werden."

Und in der Tat, Auseinandersetzungen standen an. Draußen, wo jetzt mit Verve nicht nur gegen den § 218 gekämpft wurde, sondern auch Schönheitskonkurrenzen mit Schweinshaxen beworfen und Türen frauenfeindlicher Redaktionen zugemauert wurden. Und drinnen, wo die deutschen Frauengruppen weder so pragmatisch waren wie die Amerikanerinnen noch so anarchistisch wie die Französinnen und schon gar nicht so lustig wie die Holländerinnen.

Die deutschen Feministinnen kamen mehrheitlich aus dem auf die Ex-Nazi-Eltern reagierenden links-alternativen Milieu, Jeans und Parka waren Pflicht und die politische Rechtfertigung gegenüber den Genossen Ritual. Für die waren die wild gewordenen Frauen nichts als ein „Nebenwiderspruch", der sich automatisch lösen würde, sobald erst mal der „Hauptwiderspruch", der Klassenkampf gewonnen wäre.

Sicher, in allen westlichen Frauenbewegungen der 70er Jahre gab es diese beiden Hauptströmungen: auf der einen Seite die aus der Linken kommenden Frauen, die die Bevormundung durch die eigenen Genossen leid waren, oft aber Tendenz hatten, unhinterfragt linke Strukturen und Denkweisen einer entfremdeten hochfahrenden Stellvertreterpolitik auf die entstehende Frauenbewegung zu übertragen (Slogan: Kommt massenhaft!). Auf der anderen Seite die unabhängigen Feministinnen, die bis zum Aufbruch der Frauenbewegung politisch nicht organisiert gewesen waren, und nun, learning by doing, die Strukturen und Denkweisen für die neue Bewegung neu erfanden (Motto: Frauen gemeinsam sind stark!). Doch die aus der Linken kommenden Frauen waren dominanter, dogmatischer und selbstgerechter - ganz wie ihre Eltern.

Im Rückblick würde ich sagen, dass gerade die deutsche Frauenbewegung vermutlich ein Stück die Chance verschenkt hat, das in den 70er Jahren bei den Frauen allgegenwärtige Es reicht! breiter zu verankern. Zu groß waren die Berührungsängste der Linken mit den Bürgerlichen, war der Hochmut der jungen Alternativen gegenüber den älteren Etablierten.

Die Grundstrukturen der westdeutschen Frauenbewegung jedoch waren identisch mit denen der Nachbarländer: spontaneistischer Aufbruch, Ablehnung traditioneller Organisationsformen, keine Hierarchie (zumindest keine institutionalisierte) und stattdessen Kampagnen und Projekte. Ab Mitte der 70er begannen dann die Gründungen autonomer und staatlicher Frauenprojekte (Staatsknete!) sowie der Marsch durch die Institutionen.

Gleichzeitig wütete der Backlash schon wenige Jahre nach dem Aufbruch auch in den eigenen Reihen der Frauenbewegung. Ende der 70er waren die politischen Differenzen der Aktivistinnen dann so grundsätzlich geworden, dass von einer einheitlichen sozialen Bewegung der Frauen nicht länger die Rede sein konnte. Der „Feminismus" war zu einer sehr inflationären Münze geworden.

Der politische Begriff einer „Bewegung" impliziert gemeinsame Ziele, einen organisatorischen Zusammenhalt und öffentliche Sichtbarkeit. Das war ab Anfang der 80er Jahre nicht mehr der Fall. Die Bewegung sickerte in die Gesellschaft hinein. Die Pionierinnen und die ihnen folgenden Wellen von Aktivistinnen waren weltweit nun nicht länger „die" Frauenbewegung, sondern ein gesellschaftlich allgegenwärtiger Feminismus. Die Frauenbewegung war tot, der Feminismus lebt.

Nicht zum ersten Mal in der Geschichte hatte die Phase des Aufbruchs der Frauen - eben die Frauenbewegung - sich nach einigen Jahren selbst überholt. Das war in der Ersten Frauenbewegung und ihren zwei Phasen (Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts) nicht anders. Nach ihrem Aufbruch vom Rand der Welt traten die Feministinnen ein in die Welt, und eine jede veränderte an ihrem Platz diese Welt ein Stück.

Der Text ist ein leicht überarbeiteter und gekürzter Nachdruck aus dem Kapitel „Wo ist die Frauenbewegung?" in „Der große Unterschied" (Kiepenheuer & Witsch)

(Textauszug aus: Schwarzer, Alice (2000): Der große Unterschied : gegen die Spaltung von Menschen in Männer und Frauen. - In: EMMA, Nr. 3, S. 68 - 69 [hier Titel: Sind Frauen gemeinsam stark?])

So fing es an! EMMA-Artikel zur Ausstellung im FMT

Als Ina Deter ihr 1972 spontan komponiertes Lied („Nur darum habe ich überhaupt angefangen zu komponieren") sang, da kam einen Moment lang echte Rührung auf. Nicht nur bei denen, die sich erinnerten, sondern auch bei denen, die danach geboren sind. Alle spürten plötzlich, wie blutig ernst die Sache war: „Ich habe abgetrieben. Ich gehöre dazu. Ich bin eine von Millionen wie du." Nur, was denn das mit der Stricknadel bedeuten sollte, fragten anschließend zwei Schülerinnen so um die 17. Eine von Inas Weggefährtinnen um die 50 erklärte es ihnen: Nämlich dass damals ungewollt schwangere Frauen oft so verzweifelt waren, dass manche sogar zur Stricknadel griffen - um sich damit den Gebärmuttermund zu durchstoßen und so die Abtreibung einzuleiten. Was nicht selten tödlich endete.

Hätten Sie mitgemacht bei dem Selbstbekenntnis der 374 im Stern: „Wir haben abgetrieben?" fragte die taz eine Handvoll Polit- und TV-Prominenz. „Ich war damals noch ein Kind. Wäre ich erwachsen gewesen, hätte ich die Kampagne bestimmt unterstützt", so Ex-Gesundheitsministerin Andrea Fischer von denen Grünen ohne Umschweife. „Ich glaube nicht, dass ich in eine solche Situation kommen würde, deshalb hätte ich mich an der Kampagne nicht beteiligen können", entgegnete der neue SPD-Shooting-Star Ute Vogt. Ein Satz, der Verwirrung auslöste. Ist die rothaarige Ute eine - warum auch immer - so strenge Gegnerin des Koitus, dass sie nie und nimmer in „eine solche Situation" kommen könnte? Und wenn ja, wie schafft sie es, auf alle Ewigkeit sicher zu sein vor Vergewaltigung?

Doch Polemik beiseite: Schon diese Antwort der 36-jährigen Genossin offenbart den galoppierenden Geschichtsverlust. Denn das Bekenntnis der 374 im Stern („Wir haben abgetrieben") war natürlich keineswegs ein privates Geständnis, sondern eine politische Provokation. Die meisten der 374 hatten in der Tat abgetrieben, weil einfach die Mehrzahl der Frauen in dieser - zum Teil noch Vor-Pillen-Zeit - irgendwann im Leben abgetrieben hatte. Einige aber hatten in der Tat persönlich (noch?) nicht abgetrieben, fanden aber trotzdem die politische Förderung nach dem Recht von Frauen auf Abtreibung selbstverständlich. Die öffentliche Selbstbezichtigung war nichts als eine besonders provokante Form des Protestes nicht mehr und nicht weniger.

In ihrer Eröffnungsrede schilderte Alice Schwarzer, die Initiatorin des Selbstbekenntnisses der 374, die spontanen Anfänge der Stern-Aktion (siehe EMMA1 3/2001). Im Anschluss diskutierten hie Schwarzer/Deter und da Roche/Buschheuer, was die zwei Generationen gemeinsam haben - und was sie trennt.

Die Kölner Tageszeitung „20 Minuten" brachte die Diskussion auf die knappe Formel: „Für Charlotte sind es die sexistischen Anfeindungen von Männern, für Else ist es das allgegenwärtige Schönheitsdiktat für Frauen, von Alice kurz Tussen-Trend genannt." Doch als Else Buschheuer auf ihre nicht-frauenbewegte Ostherkunft hinwies und spottete, sie sei ja im Prinzip dafür, sehe sich aber so gar nicht auf so einer Demo mitlatschen - da wollte Ina Deter („Wir müssen wieder auf die Straße gehen!") nicht so einfach locker lassen und es genau wissen: Dann sollen sich doch jetzt die Elses mal was ausdenken - die Inas machen dann gerne mit. Kurz bevor die gute alte Frauenzentrums-Stimmung wieder aufkam, lud die FMT-Mitarbeiterin Angelika Schlimmer (nächste Seite Mitte) zum Rundgang durch den Turm: vom Gewölbe mit den Dokumenten der ersten neun Monate, durch das Treppenhaus mit seiner im wahrsten Sinne des Wortes „hängenden" Ausstellung, bis rauf zum vierten Stock mit seinen über 32.000 archivierten Dokumenten unter der Lichtkuppel.

Die Medien reagierten verhalten, wie immer in Sachen Feminismus. Wobei es vermutlich vor allem dem Getrommel von FrauenMediaTurm und EMMA zu verdanken war, dass sie den Termin nicht verschliefen. Der „Stern", immerhin einst stolzer Bannerträger der Aktion, vermeldete den Termin im Editorial und ließ im Heft einen Spät-68er aus der WG-Kiste plaudern. Doch etliche Zeitungen, von der Berliner taz über das Jugendmagazin „jetzt" bis hin zur Schweizer Frauenzeitschrift „annabelle" erinnerten: „Mädels, es gibt noch viel zu tun!" (Basler Zeitung).

(Quelle: So fing es an! : 6. Juni im FrauenMediaTurm (2001). - In: EMMA, Nr. 4, S. 76 - 77)

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