Pionierinnen der Neuen Frauenbewegung

Silvia Kontos

Pionierinnen der Neuen Frauenbewegung

Silvia Kontos war Mitglied im zweiten ‚Weiberrat‘ an der Universität Frankfurt. Sie war Mitgründerin des Frankfurter Frauenzentrums, wo sie Busfahrten nach Holland organisierte – aus Protest gegen den § 218. Als Professorin für Soziologie und Frauenforschung blieb ihr Schwerpunkt die Körperpolitik.

Kindheit: Hausarbeit als Frauensache

Silvia Kontos wurde 1945 im schlesischen Sagan geboren. Die Familie floh bei Kriegsende in den Westen. Der Vater, von Beruf Weberei-Techniker, wurde nach 1945 SPD-Parteisekretär, die Mutter arbeitete als Erzieherin, ging später in die Kommunalpolitik und saß für die SPD im Kieler Stadtrat. Einerseits war es keine Frage, dass auch die Tochter studieren und in Sachen Bildung ihren beiden älteren Brüdern gegenüber nicht benachteiligt werden sollte. Andererseits stand außer Frage, dass Mutter und Tochter für die Hausarbeit zuständig waren. „Also ich musste den Abwasch mit meiner Mutter dann machen nach dem mitttäglichen Essen am Sonntag und meine Brüder natürlich nicht.“[1] Und „diese Zuständigkeit für die Hausarbeit habe ich als diskriminierend empfunden. Also diese Selbstverständlichkeit, und das ist ja nicht nur die Hausarbeit, sondern das ist auch die Zuständigkeit von Frauen für das Wohlergehen von Männern.“[2]

„Ich bin auf dem Küchentisch einer Engelmacherin gelandet“

1965 heiratete Silvia Kontos einen griechischen Arzt und wurde ungewollt schwanger. Sie war 21, hatte gerade mit dem Studium der Soziologie an der Frankfurter Uni begonnen und wollte zu diesem Zeitpunkt kein Kind. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Schwangerschaft abzubrechen, erlebte sie eine „grausame Abtreibungsgeschichte“[3]. Sie bekam die Adresse eines Schweizer Arztes, der die Abtreibung jedoch ablehnte. „Ich bin dann schließlich auf dem Küchentisch einer Engelmacherin gelandet. Die hat eine Seifenspülung gemacht. Ich habe mir später mal die Sterbestatistik anschaut, da ist mir ganz schlecht geworden. Die Frau hat natürlich ordentlich die Hand aufgehalten und mich anschließend zu einem niedergelassenen Gynäkologen geschickt, der auch nochmal die Hand aufgehalten hat. Man kam sich vor wie der letzte Dreck. Diese Abhängigkeit von Leuten bei einer Entscheidung, die mein Leben betroffen hat. Ich fand das alles so furchtbar, dass mir klar war: Das darf nicht so bleiben!“[4]

Es wird der Kampf gegen den § 218 sein, der Silvia Kontos nach dieser „demütigenden Erfahrung“ später dazu führte, sich in der Frauenbewegung zu engagieren, wo sie ihre „politische Heimat (…) für ihre persönlichen Erfahrungen“[5] fand.

Aufstand gegen die SDS-Männer

Doch zunächst stand Mitte der 1960er Jahre an der Frankfurter Universität der Klassenkampf im Zentrum. Silvia Kontos nahm an Versammlungen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) teil, erlebte aber dort eine große Männerdominanz und die Marginalisierung der Frauenfrage zum ‚Nebenwiderspruch‘. Zu den wenigen Frauen, die dort das Wort ergriffen, gehörte Silvia Bovenschen. „Aber der Rest der Frauen war stumm.“[6]

Das blieb aber nicht so. Am 13. September 1968 hielt Helke Sander auf dem SDS-Kongress in Frankfurt ihre Rede, in der sie die Frauenfrage stellte und ihre Genossinnen aufforderte, den „Klassenkampf auch in die Ehe zu tragen“[7]. Sigrid Rüger warf die berühmte Tomate und im Anschluss an den Kongress gründete sich der Frankfurter Weiberrat. Auf dem nächsten SDS-Kongress verteilte der Weiberrat das bekannte Flugblatt Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen.

Den Startschuss für die Frauenbewegung sieht Silvia Kontos hier aber noch nicht. „Also das war sozusagen der erste Aufstand, der sich quasi gegen die SDS-Männer richtete. Und natürlich auch diese ganze Sexualitäts-Thematik, das wurde ja endlich auch mit thematisiert. Und das war auch gut und richtig. Aber das war eine kleine Gruppe. Und die Richtung war in die Linke und in das Sprachrohr der Linken, den SDS hinein. Aber noch nicht etwas, das sich (…) an die Gesellschaft insgesamt gerichtet hat. Das war eigentlich erst 218.“[8]

Der zweite Frankfurter Weiberrat

Nach der Auflösung des ersten Frankfurter Weiberrates gründete sich Anfang der 1970er Jahre der zweite, dessen Mitwirkende Silvia Kontos wurde. Der zweite Weiberrat widmete sich zunächst dem Marx-Studium. „Wir haben erst mal gedacht, wir müssen Marx verstehen, wir müssen das kapieren. (…) Und irgendwann (…) kam Jessica Benjamin (…), sozusagen ein Import aus den USA. Also, wir haben kapiert, dass die das irgendwie völlig anders anfangen. Die fangen nicht an, die Nachhilfeschule für Marx zu machen, um da in der Linken mitreden zu können, sondern die sagen: Moment mal, es gibt ganz andere Themen, lasst doch mal irgendwie diese Nachhilfeschule weg. (…). Und jetzt gucken wir doch mal, was wirklich Sache ist. Und dann kamen diese Themen: Sexualität, 218, und so weiter. (…) Und es lief ja auf einer anderen Ebene auch diese 218-Kampagne an.“[9]

Der zweite Weiberrat stieg ein in den Kampf gegen den § 218. Die Frauen stürmten einen Ärztekongress des Hartmannbundes und stapelten benutzte Windeln auf einem Kirchenaltar. Der Weiberrat organisierte Demonstrationen und Kongresse. Er organisierte eine Kirchenaustritt-Kampagne, um gegen die restriktive Haltung der katholischen Kirche zur Abtreibungsfrage zu protestieren.

Eine besonders öffentlichkeitswirksame Aktion waren die Busfahrten nach Holland – wo Abtreibung legal war. „Wir haben Busse organisiert, die nach Holland fuhren. Wo klar war: Da sitzen Frauen drin, die nach Holland wegen der Abtreibung fahren. Aber eben nicht nur. Und das war genau der Trick (…): Geht die Polizei so weit, die zu stoppen und die Frauen rauszuholen und womöglich zu untersuchen? (…)  Oder gehen sie nicht so weit? Sie sind nicht so weit gegangen. Weil sich natürlich das Klima insgesamt auch so verändert hatte, dass sie sich das nicht mehr leisten konnten. Es war das Fernsehen da. Und die Straße am Frauenzentrum, wo die Busse abfuhren mit großen Plakaten. Also, es war klar eine bewusste Provokation, um zu zeigen, die Bevölkerung ist gegen dieses 218-Gesetz. (…) Die Unterstützung, die wir für die 218-Kampagne gekriegt haben, von Frauen aus der gesamten Bevölkerung, die war ja immens.“[10]

Der Weiberrat wurde zu klein

In der Zwischenzeit haben die Frankfurterinnen gemeinsam einen ehemaligen Bäckerladen gemietet und dort ein Frauenzentrum gegründet. „Also, der Weiberrat wurde (…) als Organisation irgendwann zu klein. Es gab jede Menge Arbeitsgruppen und es brauchte auch einen Raum.“[11] Die Themen, um die es im Frauenzentrum ging, erweiterten sich vom Abtreibungsverbot auf Sexualität und Frauengesundheit, Gewalt gegen Frauen, ungleiche Bezahlung, etc. „Also, ich war in der ‚Lohn für Hausarbeit’-Gruppe und in der 218-Gruppe.“[12]

Im April 1974 verabschiedete die SPD/FDP-Koalition die Fristenlösung, knapp ein Jahr später kippte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz. Im Februar 1976 kam schließlich die sogenannte Indikationslösung. Abtreibung war nicht mehr strafbar, wenn es medizinische Gründe dafür gab, die Schwangerschaft durch Missbrauch oder Vergewaltigung entstand oder bei einer schweren Behinderung des Fötus. Neben der medizinischen, der kriminologischen und der embryopathischen Indikation gab es auch noch die soziale Indikation: Wurde die Abtreibung vorgenommen, um „von der Schwangeren die auf andere ihr zumutbare Weise nicht abzuwendende Gefahr einer schwerwiegenden Notlage abzuwenden“[13], kann das Gericht von einer Bestrafung absehen. Bei verständnisvollen Ärzten konnte die soziale Indikation ein Schlupfloch sein. Der § 218 blieb ein zentrales Thema der Frauenbewegung, stand aber ab jetzt nicht mehr im Mittelpunkt des Kampfes.

Weg in die feministische Wissenschaft

„Die Bewegung flaut natürlich ab in dem Moment, wo es legale Möglichkeiten gibt und Pro Familia sowas übernimmt. (…) Und viele von uns sind ja auch bei der Pro Familia gelandet. Also, es gibt so eine Diffusion der Frauenbewegungs-Projekte in gesellschaftliche Institutionen hinein. (…) Und das war in Frankfurt natürlich genauso. (…) Viele sind Lehrerinnen geworden, haben dann doch irgendwann ihr Studium zu Ende gemacht und sind in die Schulen gegangen. Viele sind in die Wissenschaft gegangen (…). In die soziale Arbeit. In die Kultur, Kunst.“[14]     

Silvia Kontos entschied sich für die Wissenschaft. Als Professorin für Soziologie und Frauenforschung an der Hochschule Rhein-Main blieb ihr Schwerpunkt die Körperpolitik – von Abtreibung bis Prostitution. „Natürlich, ich mache feministische Wissenschaft, bis heute. Und das hat mich auch geprägt. Also, ich habe da ein Feld gefunden, wo ich das Gefühl habe: Da ist vieles noch zu beackern!“[15]

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Videoclips

Interviewtranskript

Fußnoten

[1] P14-Kont-01, Interview mit Silvia Kontos, Transkript, S. 1.

[2] Ebenda.

[3] Ebenda, S. 2.

[4] Louis, Chantal: Frauenprojekte – Weg mit dem § 218! In: EMMA 2017, H. 2, S. 38‒41, hier S. 39.

[5] P14-Kont-01, Interview mit Silvia Kontos, Transkript, S. 3.

[6] Ebenda, S. 4.

[7] Helke Sander, Rede anlässlich der 23. Delegiertenkonferenz des SDS, 13.9.1968, URL: https://frauenmediaturm.de/neue-frauenbewegung/rede-von-helke-sander/ Zuletzt besucht am: 23.08.2020.

[8] P14-Kont-01, Interview mit Silvia Kontos, Transkript, S. 6.

[9] Ebenda, S. 5.

[10] Ebenda, S. 9.

[11]Ebenda, S. 15.

[12] Ebenda.

[13] URL: https://lexetius.com/StGB/218,4 Zuletzt besucht am: 15.03.2021.

[14] Ebenda, S. 15.

[15] Ebenda, S. 18.

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